Prof. Dr. Ralf Lanwehr ist Spezialist für Führung und Transformation und bekannt für seine Trainingstätigkeit für den DFB im Bereich Leadership. Auf der ORGATEC 2022 sprach Lanwehr auf der Bühne des IBA Forum über New Work und Charisma.
Mehr Freiheit und Flexibilität für Arbeitnehmer, weniger Vorschriften aus der Chefetage – das scheint das Patentrezept für den erfolgreichen Übergang in eine neue Arbeitswelt zu sein. Ralf Lanwehr ist anderer Meinung: Die Umstellung auf New Work könne nicht einfach auf der Auflösung jeglicher Regeln basieren. Stattdessen brauche es einen klaren Rahmen und Charisma als Führungsqualität, und als Schlüsselelement einer modernen Arbeitsorganisation.
New Work als entzaubertes Zauberwort
Die wenigen Umsetzungsregeln, auf die New Work in Büchern gerne heruntergebrochen wird, funktionieren nicht für jedes Organisationsmodell gleichermaßen. Ralf Lanwehr schreibt die gängigen Thesen der Populärwissenschaft als unzutreffende Utopien mit falscher Allgemeingültigkeit und als fahrlässige Uninformiertheit ab – sie verschleiern gerne die Probleme, die flexible Organisationkulturen mit sich bringen. Zwar habe New Work viele Vorteile, andererseits könne die betriebswirtschaftliche Literatur der letzten 50 Jahre nicht einfach ignoriert werden. „Das Öffnen von Freiheitsräumen muss von Regeln begleitet werden“, folgert Lanwehr.
Warum ausgerechnet Freiheit viele Regeln braucht
Freiheitsräume zu regulieren, scheint auf den ersten Blick widersprüchlich. „Es geht dabei um die richtige Balance zwischen dem Gewähren und dem Nehmen von Freiheitsgraden“, erläutert Lanwehr. Er verweist dabei auf die Gegenüberstellung offener und geschlossener Werte nach dem österreichisch-britischen Philosophen Karl Popper (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, 1945) und welche Rolle diese für die Organisationskultur spielen. Dessen Ausführungen zufolge stehen sich Vor- und Nachteile offener und geschlossener Werte gegenüber – zum Beispiel Individualität und Autonomie, aber auch Desorientierung, Einsamkeit und Anarchie offener Werte gegenüber der Sicherheit und Ordnung, aber auch Zwang und Einengung geschlossener Werte.
„Wenn wir Freiheit etablieren wollen, dann brauchen wir Regeln. Regeln ermöglichen erst funktionierende Freiheiten in der Arbeitswelt. Die Frage nach New Work sollte eher lauten: Wie setzen wir Regeln clever ein?“ Prof. Dr. Ralf Lanwehr
New Work braucht Visionen und Charisma
„New Work heißt im Kern, den Menschen in den Mittelpunkt stellen“, sagt Lanwehr. Was brauchen Arbeitnehmer? Eine gemeinsame Vision und das Aufzeigen des Wegs, um diese Vision in die Tat umzusetzen. Eine Vision stiftet Sinn, ein Gefühl für Richtung und Ziel. Die Probleme, die mit dem Öffnen von Freiräumen einhergehen, lassen sich so durch die Vermittlung einer Vision beheben. Dies kann in der Arbeitswelt beispielsweise durch Raumgestaltung funktionieren. Vor allem seien charismatische Führungskräfte gefragt. Und Lanwehr hat eine gute Nachricht. Entgegen der breiten Annahme, Charisma ließe sich nicht erlernen, erklärt er: „Charisma ist trainierbar.“ Das auf Aristoteles zurückgehende Charisma-Dreieck „Rhetorik – Auftreten – Ziele und Werte“ zeigt, welche Aspekte für das Trainieren von Charisma-Taktiken wichtig sind: Zum „Auftreten“ gehören Aspekte wie Ausdruck, Körpersprache oder ungewöhnliches Verhalten, während „Rhetorik“ die Art und Weise beschreibt, wie man seine Botschaft stilistisch formuliert, z. B. mit Hilfe von Kontrasten, Metaphern oder rhetorischen Fragen. Letztlich meint „Ziele und Werte“ die Vermittlung von persönlichen Werten, ehrgeizigen Zielen und des Vertrauens, diese auch erreichen zu können.
Wenn es gelingt, sich diese Charisma-Taktiken anzueignen, lassen sich die Erfolge in ihrer Anwendung neuesten Forschungen zufolge, sogar messen: Ein aktuelles Experiment zeigt, dass ein Zusammenhang zwischen der Nutzung von Charisma-Taktiken in Twitter-Tweets und der Zahl ihrer Views und Retweets vorliegt. Je höher der Anteil der Charisma-Taktiken in den Tweets, desto höher ist die Anzahl der positiven Reaktionen.
Charisma, so Lanwehr, ist ein Werkzeug, mit dem man in einer zunehmend flexiblen Arbeitswelt Freiheitsräume einschränken kann, ohne als Arbeitgeber autoritär aufzutreten. Denn, auch da ist sich der Spezialist für Führung und Transformation sicher, nur wenn sich die neu gewonnen Freiheiten für Arbeitnehmer innerhalb eines klar definierten, sinnstiftenden Rahmens bewegen, kann New Work langfristig gelingen.
Den Mitschnitt des Vortrags sowie ein Interview mit Prof. Dr. Ralf Lanwehr finden Sie im IBA Forum.