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Wie lässt sich ein gesundes Arbeitsumfeld gestalten? Interview mit Nora Dietrich, Expertin für Mental Health
(Teil 2)

Hybrid Work

Nora Dietrich
IBA Redaktionsteam IBA Redaktionsteam ·
7 Minuten

Anlässlich des World Mental Health Day sprach die IBA Forum Redaktion mit Mental Health Expertin Nora Dietrich. In Teil 2 des Interviews geht es um „gesunde“ Organisationen und die Rolle der Führungskräfte in punkto mentale Gesundheit am Arbeitsplatz.

„80.000 Stunden unseres Lebens verbringen wir am Arbeitsplatz – wie können wir ihn so gestalten, dass er die psychische Gesundheit fördert und nicht beeinträchtigt?“ Mit dieser Aussage beginnt deine Homepage. Wie müssen deiner Meinung nach gesunde Arbeitsplätze gestaltet sein?

 

Gesunde Arbeitsplätze sollten vor allem gemeinsam mit den Teams gestaltet werden. Dabei kommt es auch auf die Art der Zusammenarbeit und natürlich auf die Branche an. Am Anfang sollte gemeinsam definiert werden: Was bedeutet Gesundheit für uns? Die Frage ist: Was ist unsere Idee einer „gesunden Organisation“? Das heißt, dafür eine Vision, ein Zielbild zu formulieren und daran orientiert zu fragen: Wie kommen wir dahin? Kein Stressmanagement der Welt kann beispielsweise eine zu hohe Arbeitsbelastung kompensieren. Der erste Schritt besteht für mich darin, die Gefährdungspotenziale zu identifizieren. Nach § 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sind Unternehmen sogar dazu verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, um die physische und psychische Gesundheit der Beschäftigten zu schützen. Es gilt herauszufinden, was in den Arbeitsstrukturen, in der organisatorischen Zusammenarbeit und in der Arbeitsumgebung zu einer Gefährdung der Gesundheit führen kann. Hier müssen wir ansetzen. Das sind oft Maßnahmen, für die man bereit sein muss, alte Strukturen aufzubrechen. Ich glaube, Arbeitsplätze sollten ein Ort sein, an dem ich authentisch sein kann, wo ich alle Facetten einbringen darf, wo ich kreativ, aber auch kritisch hinterfragen kann, wo ich für meinen Beitrag wertgeschätzt werde und wo mir zugestanden wird, autonom eigene Entscheidungen zu treffen, also Arbeit wirklich mitzugestalten. Und auch um Zusammenhalt geht es. Steht das Team hinter mir, setzt sich die Führungskraft für mich ein? In diese Frage fließen viele Facetten von New Work ein. Es geht um Sinn, Mitgestaltung, Wir-Gefühl, Wirkung und stärkenorientiertes Arbeiten.

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Welche Fähigkeiten brauchen Führungskräfte, um mit dem Thema in ihren Teams umgehen zu können?

 

Führungskräfte sollten auf jeden Fall gut ausgebildet sein. Am Anfang steht das Verstehen: Was ist mentale Gesundheit? Was hat das mit der Arbeit zu tun? Welche Biases oder emotionalen Trigger tragen wir in uns? Was sind Dinge, die uns nerven, die wir dann schnell abtun, die aber vielleicht darauf zurückzuführen sind, dass jemand emotional belastet ist? Vielleicht kommt ein Teammitglied immer zu spät oder meldet sich nicht rechtzeitig. Sind das erste Anzeichen von Überlastung? Dann: Was ist meine eigene Geschichte und wie steht es um meine eigene mentale Gesundheit? Wie gehe ich mit mir selbst um und warum ist das so? Was sind meine persönlichen inneren Antreiber? Das Thema mentale Gesundheit hat viel mit Selbstreflexion und Selbstführung zu tun, um selbst als Vorbild dienen zu können. Für Führungskräfte geht es um das Erlernen der Kompetenz, psychische Belastungen zu erkennen und das Thema dann auch richtig ansprechen zu können. Hier ist nicht nur Kommunikationskompetenz gefragt, sondern auch Ressourcenwissen. Also, wann schalte ich Human Resources ein, welche Ressourcen haben wir als Organisation? Wo sind aber auch meine Grenzen, was gehört nicht in meine Jobbeschreibung als Führungskraft? Es ist wichtig, genau diese Grauzonen zu kennen und dafür Tools und Skills zu erhalten, um nicht ins Schwimmen zu geraten oder aus Angst, das Falsche zu sagen, gar nichts zu sagen – was wir heute leider sehr oft erleben.

Was sind für dich die Merkmale einer resilienten Organisation?

 

Wenn wir jede Lücke im Kalender so effizient wie möglich nutzen und alle Prozesse lean sind, bleibt wenig Platz für Resilienz. Es braucht in Unternehmen mehr Raum und Puffer für das Unerwartete. Dazu das Gespür, was im Markt passiert und was künftig auf Organisationen zukommt. Ebenso Teams, die zusammenhalten, in denen über Emotionen gesprochen werden kann. Zeit zum Experimentieren und Zeit, die eigenen Batterien wieder aufzuladen. Kurz: Entschleunigung, Puffer sowie eine zwischenmenschliche Kultur der Ehrlichkeit, des Experimentierens und der Gesundheit.

Wie können Beschäftigte selbst eine gute Basis für ihre mentale Gesundheit schaffen?

An erster Stelle steht die Selbstreflexion. Kenne ich mich gut genug, um zu wissen, wann der Stress überhandnimmt? Ich nenne das immer einen Selbstcheck-in, um zu sehen, wo man steht: mit sich selbst im Gespräch zu bleiben und die eigenen Warnsignale zu erkennen. Die Kopfschmerzen, die man plötzlich mehrmals in der Woche hat, die Schlafstörungen, das veränderte Essverhalten oder die kurz angebundenen E‑Mails. Viele ignorieren das so lange wie möglich, bis es irgendwann nicht mehr zu ignorieren ist. Hier sollte man selbst proaktiver sein, sich selbst besser verstehen lernen und sich auch fragen: Was hilft mir in solchen Situationen? Also: Wie kann ich Entlastung schaffen? Wer kann mir in dieser Situation helfen, welche Unterstützung kann ich in Anspruch nehmen? Welches Bedürfnis habe ich einfach zu lange ignoriert? Wann muss ich vielleicht Nein sagen und gezielt Grenzen setzen?

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Was sind deine persönlichen Tipps und Strategien für mentale Gesundheit am Arbeitsplatz?

 

Ein wichtiger Aspekt für mich ist der Umgang mit meiner persönlichen Energie. Für mich geht es heute nicht mehr so sehr um Zeitmanagement, sondern um Energiemanagement. Wenn ich zum Beispiel am Morgen einen Workshop halte und mit voller Energie dabei bin, hätte ich zwar theoretisch am Nachmittag Zeit für Meetings oder sogar einen weiteren Workshop – aber habe ich die Energie? Man muss also für sich selbst verstehen, dass ein weißer Fleck im Kalender nicht unbedingt bedeutet, dass man energetisch diese freie Zeit zur Verfügung hat. Das war ein wichtiger Shift für mich. Auch das Thema Grenzen setzen ist für mich wichtig. Ich bin ein absoluter People-Pleaser und Workaholic. Es fällt mir daher schwer, Nein zu sagen. Deshalb reagiere ich heute nicht mehr sofort auf Anfragen. Ich öffne den Raum für mich, es nicht mehr allen recht machen zu wollen und meinem inneren Kompass zu folgen. Mir bewusst Zeit für private Dinge zu nehmen, die sonst immer hinten runterfallen, wie 15 Minuten Yoga am Morgen oder das Mittagessen mit einer Freundin. Ein weiterer Baustein ist für mich die Bewegung. Ich arbeite viel im Stehen und bin durch meinen einjährigen Sohn auch viel draußen, ob ich will oder nicht :) .

Nora, vielen Dank für das Gespräch.

Nora Dietrich ist Mental Health Expertin, Keynote Speakerin und Organisationsdesignerin. Sie berät Teams und Führungskräfte zu der Frage: Was brauchen wir, um unsere Arbeit bestmöglich zu leisten und dabei gesund zu bleiben? Die Verhaltenstherapeutin arbeitet auch für das Zukunftsinstitut und berät Organisationen strategisch und bei der Umsetzung von New Work. Dabei übersetzt sie ihre Expertise aus der Verhaltenstherapie in die Welt der Organisationen. Mehr Informationen unter https://www.noradietrich.com/.

Titelbild: Nora Dietrich