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New Leadership und Vertrauenskultur: Interview mit Executive Coach Karin Lausch

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sch, Fotocredit: Anika Schlichenmaier
IBA Redaktionsteam IBA Redaktionsteam ·
13 Minuten

Die Anforderungen an Führung verändern sich und damit auch die Rolle von Führungskräften. Die IBA Forum Redaktion sprach mit Leadership Expertin Karin Lausch darüber, was für sie zukunftsfähige Führung ausmacht und welche Rolle Vertrauen dabei spielt.

Karin, in welche Richtung muss sich Führung verändern bzw. was macht für dich zukunftsfähige Führung aus?

Zukunftsfähige Führung bedeutet für mich vor allem, bei sich selbst anzufangen. Simon Sinek würde sagen, beim Why. Und gründlich das eigene Bild von Führung zu entwickeln. Wir brauchen ein neues Narrativ von Führung. Eine Führung, die nicht einsam ist, und eine Führung, die nicht ihr eigenes Unternehmen im Unternehmen führt. Das sind Dinge, die wir wahrnehmen und die auch den Kern unserer Arbeit bei coeffect ausmachen. Wir wollen etwas verändern, weil wir merken, dass immer weniger Menschen führen wollen und immer mehr Führungskräfte an ihre gesundheitlichen Grenzen stoßen. Wir glauben an eine Führung, die sich gegenseitig unterstützt, die ihre Stärken kennt und die die Stärken der unterschiedlichen Individuen zusammenführt, um gemeinsam ans Ziel zu kommen.

Welche Rolle spielt deiner Meinung nach emotionale Intelligenz in der modernen Führung, insbesondere im Hinblick auf die Unterstützung der Mitarbeiter in fordernden Zeiten?

Ich glaube, dass wir, historisch bedingt, Misstrauen im Arbeitskontext erlernt haben. Und auch die Abwesenheit von Emotionen. Als professionell galt es immerhin, keine Emotionen zu zeigen, sondern eine Maske zu tragen und bewusst die Rolle zu wahren, die ich im Arbeitskontext innehabe. Aber heute lernen wir, dass das nicht funktioniert und dass wir unsere Emotionen brauchen. Denn alles, was ich von mir zurückhalte, kostet mich Produktivität. Insofern könnte man sagen, emotionale Intelligenz ist nicht nur einer der wichtigsten Führungsfaktoren, sondern auch ein harter Wirtschaftsfaktor. Denn nur mit emotionaler Intelligenz kann ich Menschen emotional binden. Und dass es uns daran enorm mangelt, zeigt Gallup jedes Jahr mit eindrücklichen Studien. Die potenziellen Kosten, die allein im Jahr 2023 auf mangelnde Produktivität aufgrund fehlender emotionaler Bindung zurückzuführen sind, belaufen sich in der deutschen Wirtschaft auf bis zu 167 Milliarden Euro.

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Emotionale Intelligenz ist nicht jedermanns Sache und hängt von der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur ab. Wie kann es Führungskräften deiner Meinung nach gelingen, ihr Mindset entsprechend zu ändern?

Ich habe vor kurzem gelesen: Wer nicht vertrauen kann, kann auch keine Führungskraft sein. Und da würde ich ganz klar sagen, nein, das sehe ich nicht so. Wir können erst mal nichts dafür, wie wir ausgestattet sind, und wir sind alle gut so, wie wir sind. Die Frage ist, wie gehen wir mit den Dingen um, die uns vielleicht daran hindern, eine gute Führungskraft zu sein. Ich bin ein gutes Beispiel, denn ich bin nicht mit einer guten Vertrauensfähigkeit gesegnet. Aber ich habe mit der Zeit gelernt, damit gut zurechtzukommen. Zunächst einmal ist es mein persönliches Problem, wenn ich nicht vertrauen kann. Was ich nicht darf, ist, das auf meine Mitarbeitenden zu projizieren und zu übertragen. Daran kann man wunderbar arbeiten. Das heißt, ich muss kein Urvertrauen haben, um meinen Mitarbeitenden zu vertrauen. Und das ist für mich ein wichtiger Unterschied, weil wir da sonst viel zu sehr pauschalisieren. Deswegen glaube ich daran, dass Führung auf ganz unterschiedliche Art und Weise supereffektiv und erfolgreich sein kann. Introvertiert, extrovertiert, emotional, sachlich, rational, transformational. Es gibt verschiedene Ausprägungen, wie Führung gelingen kann, solange sie zur Führungskraft, zu den Menschen, zum Unternehmen und zur Situation passt. Wichtig ist, dass wir die Dinge transparent machen. Was wir oft nicht tun, ist, unsere Verletzlichkeit offenzulegen. Viele Führungskräfte zeigen ihre Schwächen einfach nicht, weil sie glauben, sie müssten alles mit Stärke überspielen. Denn gerade in der Führung ist das Thema Funktionieren immer noch Teil des Narrativs. Wir haben noch nicht erkannt, welche Kraft in der Verletzlichkeit liegt. Also den Mitarbeitenden zu sagen, „ich bin ein Perfektionist, ich kann superschwer loslassen, lasst uns gemeinsam überlegen, wie wir das hier hinbekommen“. Denn wir haben alle unsere Schwächen. Es hat so viel Power, zu sagen, „Hey Leute, und wenn ich jetzt wieder Perfektion bis ins kleinste Detail haben will und immer kleinteiliger werde, dann gebt mir einen Schubs und dann lachen wir darüber und können damit umgehen.“. Ich glaube, diese Leichtigkeit und diese Selbstverständlichkeit, sich als Führungskraft zu öffnen und zu zeigen und nicht zu verstecken, das macht einen großen Unterschied.

Was braucht eine Vertrauenskultur?

Ich glaube, die Bereitschaft, sich unvollkommen zu zeigen, die Bereitschaft zu zeigen, dass ich nicht immer alles kann und weiß und der Tollste oder die Tollste bin, ist ein ganz wichtiges Element einer Vertrauenskultur. Und es braucht die Bereitschaft, miteinander zu lernen. Ich empfehle Führungskräften und Unternehmen, regelmäßig in die Reflexion zu gehen. Das funktioniert wunderbar mit Retrospektiven. Retrospektive heißt ja, dass man zurückschaut und reflektiert, wie sind die letzten vier Wochen gelaufen? Ein Workshop, in dem es ein Muss ist, ehrlich zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen. Und das kann die Führungskraft vorleben, sie kann den Raum öffnen, damit Menschen merken: hier darf ich Dinge sagen und heilige Kühe umstoßen. Ich darf Dinge infrage stellen, die vielleicht Gewohnheitsrechte beinhalten. Und das ist für mich ein weiterer ganz wichtiger Schlüssel, um eine vertrauensvolle Kultur und Arbeitsumgebung zu schaffen. Denn das ist der Anfang für Weiterentwicklung und dafür, dass wir gemeinsam besser werden. Und wenn die Menschen merken, dass Veränderung möglich ist, weil sie sich geöffnet haben, dann werden sie auch mehr Vertrauen entwickeln.

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Sind Vertrauenskultur und Back-to-Office-Debatten für dich ein Widerspruch?

Nicht unbedingt ein Widerspruch. Vielleicht ist das eine nur ein kleiner Rückschritt auf dem großen Weg, weil wir historisch bedingt Vertrauen im Arbeitskontext nie wirklich gebraucht haben. Wir kommen aus der Industriegesellschaft, in der die Prozessoptimierung im Vordergrund stand. Der Mensch musste funktionieren und alles andere hatte man zu Hause zu lassen. Man muss ganz klar sagen, Arbeit hat früher linear funktioniert, sie wurde in kleine, möglichst überschaubare Häppchen zerlegt, die in einer gleichmäßigen Zeit abzuarbeiten war. Und damals war Arbeit auch an physische Anwesenheit geknüpft, was heute eben in manchen Bereichen nicht mehr der Fall ist. Ich glaube, dass wir uns in den letzten Jahren sehr stark in Richtung Flexibilität, New Work, vertrauensvolle Arbeit und Selbstbestimmung entwickelt haben. Aber jetzt sind wir in einer wirtschaftlichen Strukturkrise, einer Polykrise. Seit Corona ist alles im Umbruch und nichts ist mehr wirklich stabil. Jetzt ist es so, dass in vielen Unternehmen die Umsätze ausbleiben und die Produktivität nicht ausreicht. Was machen wir nun in diesem Stress und in dieser Panik? Wir experimentieren nicht. Das ist nicht die Zeit, in der wir New Work weiter ausprobieren und schauen, was an neuen Methoden funktioniert. Sondern wir gehen zurück zu den Dingen, die wir schon lange kennen. Und ich glaube, das passiert im Moment auch in den großen Konzernen. Ob SAP, Apple, VW, alle glänzen im Moment mit Back-to-Office-Berichten. Aber ich glaube, das ist eine Rolle rückwärts, eine kollektive Panikattacke, die dadurch entsteht, dass uns Sicherheitsfaktoren wegbrechen und wir krampfhaft versuchen, das durch mehr Kontrolle zu kompensieren. Auf lange Sicht wird es dabei aber nicht bleiben, denn New Work und Vertrauen sind der Schlüssel für eine zukunftsfähige Arbeitswelt. Wir arbeiten heute nicht mehr am Fließband. Unsere Arbeit ist multidimensional, hochkomplex und es ist gar nicht mehr möglich, alles zu kontrollieren. Ich glaube, wenn wir das verstehen und den Menschen Freiräume geben, dann können wir auch wieder viel produktiver werden. Neue Probleme mit alten Mitteln zu lösen, funktioniert einfach nicht. Wir brauchen neue Lösungen. Aber wir müssen erst einmal diese kollektive Panikattacke überwinden, um wieder zu sehen, dass das Neue helfen kann, während die alten Methoden wie Bürokratie, Kontrolle und Enge uns nur zu Fake Work führen. Noch mehr beschäftigt sein, aber noch weniger leisten.

Zitat Symbol

Die beste Art zu arbeiten ist hybrid. Was nicht funktioniert, ist zu sagen, alle müssen zurück ins Büro, damit wir wieder produktiver, selbstwirksamer und innovativer werden. Das hat nichts mit dem Arbeitsort zu tun, sondern damit, wie wir ihn nutzen. Karin Lausch

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Worin liegt für dich der Mehrwert des Büros?

Wenn das Büro richtig genutzt wird, dann liegt der Mehrwert darin, dass wir einen Ort schaffen, an dem wir zusammenkommen, uns zugehörig fühlen und zusammenarbeiten können. Das heißt, Kreativität, Innovation und Teambonding sind die Dinge, die im Büro stattfinden. Aber ich sage bewusst, wenn es richtig genutzt wird. Denn was jetzt passiert, ist, dass die Leute im Büro sein müssen und trotzdem den ganzen Tag am Computer sitzen, weil sie Remote-Meetings halten. Das ist eine große Gefahr, da so das Gefühl von Sinnlosigkeit und Frustration entstehen. Und wenn Menschen keinen Sinn in dem sehen, was sie tun müssen, dann passieren Dinge wie Quiet Quitting und Produktivitätsverlust. Ich glaube, dass wir im Moment weder das Büro noch das Homeoffice richtig nutzen. Wir befinden uns in einer Zwischenphase. Sowohl im Homeoffice als auch im Büro sitzen die Leute die ganze Zeit in Remote-Meetings. Und alles passiert ein bisschen ungeplant und dazwischen. Was wir noch nie gemacht haben, ist, uns wirklich Gedanken zu machen, wie modernes Arbeiten richtig funktioniert. Wenn ich zu Hause bin, dann ist das die Zeit für Effizienz, für Deep Work, für Konzeption. Und wenn ich im Büro bin, dann ist das die Zeit für Kollaboration und Innovation, Zusammenarbeit, Bonding, Austausch und Leben, das sind die Dinge, die im Büro passieren. Ich glaube, wir müssen die Arbeit besser strukturieren und besser planen, damit die Dinge am richtigen Ort stattfinden können und nicht alles irgendwo zu jeder Zeit. Dass wir sonst Produktivität verlieren, ist kein Wunder.

Wie kann der physische Raum zur Entwicklung von Selbstwirksamkeit beitragen?

Ich glaube, sehr gut, weil wir uns im physischen Raum mehr Feedback geben. Das heißt, ich bekomme natürlich mehr Bestätigung für das, was ich tue, ich fühle mich selbstwirksamer. Ich kann sehen, was der Erfolg meiner Arbeit ist, ich bekomme sofort eine Rückmeldung. Außerdem nehme die Stimmung zwischen den Menschen wahr. Das trägt zur Kulturentwicklung bei. Und gleichzeitig kann ich auch im Homeoffice sehr selbstwirksam sein, wenn ich mir erlaube, auch im Homeoffice Räume zu schaffen, in denen Menschen zusammenarbeiten können. Damit meine ich nicht zig Meetings am Tag, in denen ich mich nur auf die Sache fokussiere. Sondern ich meine offene Räume, wo sich Menschen auf dem virtuellen Flur genauso begegnen wie auf dem physischen. Virtuelle Räume zu öffnen und sich virtuell zusammenzusetzen wie an einer Tischgruppe und Deep Work zu machen, so als säße man an einem großen Tisch im Büro. Und was passiert dann? Dann redet man miteinander, jemand regt sich auf, dann lachen alle, man erzählt sich etwas. Und plötzlich hast du zu Hause die gleiche Situation geschaffen wie im Büro. Du hast das Bonding, die Zugehörigkeit, die Unterstützung. Was ich damit sagen will, ist, dass es immer darauf ankommt, wie wir den physischen Raum nutzen. Der physische Raum kann zur Selbstwirksamkeit und Zugehörigkeit beitragen, aber er kann sie auch untergraben.

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Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Remote-Arbeit und virtuellen Teams: Welche Strategien empfiehlst du Führungskräften, um das Wir-Gefühl und die Zusammenarbeit im Team zu erhalten?

Es ist immer wichtig, sich das Warum bewusst zu machen, also: Wofür stehen wir? Wofür treten wir an? Was verbindet uns? Und obwohl wir das wissen, tun wir es viel zu selten. Die Theorie ist da, aber in der Praxis leben wir es zu wenig, also brauchen wir immer wieder die Rückkoppelung auf das Ziel, auf die Vision und auf den Zweck des Unternehmens. Ich glaube, das ist superwichtig und da sind wir wieder beim Thema Sinnerleben. Nach Nico Rose ist Sinnerleben eine Kombination aus verschiedenen Faktoren: Erstens, den höheren Beitrag zu kennen, zweitens, zu wissen, was der persönliche Beitrag ist, drittens, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu den Menschen und zum Unternehmen zu spüren und Jobcrafting, also die selbstbestimmte Gestaltung der eigenen Arbeit in Stimmigkeit zu den Bedarfen und Bedürfnissen. Wie er so schön sagt: „Es ist die Mischung, aus denen Menschen sich ihr Sinnsüppchen kochen.“ Insofern können wir den Menschen keinen Sinn geben, aber wir können ihnen ermöglichen, Sinn in dem zu finden, was sie tun, wenn wir diese Faktoren immer wieder fördern. Es ist eigentlich nicht schwer, es kostet auch nicht viel, aber wir vergessen es immer wieder.

Gibt es noch etwas, das du unseren Lesern mit auf den Weg geben möchtest?

Ich glaube, Führung hat viele Parallelen dazu, wie Pflanzen gedeihen. Wenn ich so pflanze, dass kein Platz für die Wurzeln aller Pflanzen da ist, dann entwickelt sich Konkurrenz. Dann setzen sich nur wenige Pflanzen durch oder alle gehen ein. Das machen viele Unternehmen mit ihren Führungskräften. Es gibt nicht genug Raum oder es wird bewusst Konkurrenz erzeugt, weil viele Unternehmen denken, wenn sie Konkurrenz unter den Führungskräften fördern, wenn sie Einzelziele verordnen oder wenn sie strategisch Ziele setzen, die nicht zusammenpassen, sondern bewusst widersprüchliche Ziele, dann wird das Unternehmen besser performen. Aber das Einzige, was passieren wird, ist, dass kleine Unternehmen im Unternehmen entstehen und dass gegeneinander gearbeitet wird anstatt miteinander. Das bringt uns nicht weiter. Deshalb ist es mir noch einmal wichtig zu sagen, dass es für eine positive Zukunft der Arbeit und auch der Führung unglaublich wichtig ist, dass wir lernen, wie wir echte Leadership-Communitys in Unternehmen aufbauen. So kann Führung zusammenarbeiten und die Potenziale, die in den Beziehungen schlummern, können sich entfalten.

Karin, vielen Dank für das Gespräch.

Karin Lausch ist Leadership-Expertin, Executive Coach, Keynote-Speakerin und Autorin des Buches „Trust me. Warum Vertrauen die Zukunft der Arbeit ist“. Als Co-CEO der coeffect GmbH begleitet sie gemeinsam mit Benjamin Rolff Führungskräfte bei ihrer Entwicklung zu wirksamen Leadership-Teams und in allen Fragen zukunftsfähiger Führung. Weitere Informationen unter: https://www.linkedin.com/in/karin-lausch/ und coeffect.

Titelbild: © Anija Schlichenmaier