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Nachhaltiges Wirtschaften in die Umsetzung bringen: Interview mit Yvonne Zwick, Vorsitzende des B.A.U.M. e.V.

Nachhaltigkeit

Yvonne Zwick, Vorsitzende des B.A.U.M. e.V.
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7 Minuten

Nachhaltigkeit ist nicht nur in aller Munde, der Handlungsdruck auf Unternehmen wächst von vielen Seiten. Regulatoren, Kunden und Investoren verlangen nachprüfbare Nachhaltigkeit. Die IBA Forum Redaktion sprach mit der Vorsitzenden des B.A.U.M. e.V., Yvonne Zwick, über die Rolle der Nachhaltigkeit und ihre wachsende Bedeutung für Unternehmen vieler Branchen.

Frau Zwick, B.A.U.M. e. V. ist mit über 800 Mitgliedern die größte Umweltinitiative der Wirtschaft in Europa. Die regulatorischen Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit sind in den letzten Jahren stetig gestiegen. Auf die Unternehmen kommen weitreichende Anforderungen zu. Welche Bedeutung hat das Thema Nachhaltigkeit auf strategischer Ebene?

Nachhaltigkeit hat eine Aufwertung erfahren. Sie wird zunehmend zum Thema von Vorständen und Aufsichtsräten, die prüfen, ob Unternehmen Nachhaltigkeitsrisiken angemessen in ihre Governance integriert haben. Das drückt sich auch in der Berichterstattung und in den Bilanzen aus, die das Rückgrat eines jeden Unternehmens sind. Ich finde es erstaunlich, welch finanzielle Risiken Unternehmen eingehen, wenn sie Nachhaltigkeit nicht ausreichend auf dem Radar haben. Und das ist ein Thema, das man jetzt mit den europäischen Nachhaltigkeitsstandards angeht, auch wenn viele stöhnen, weil sie sehr detaillierte und konkrete Anforderungen an die Berichterstattung stellen. Aber wenn man das als Chance nimmt zu schauen, wo sind wir als Unternehmen überhaupt noch nicht auskunftsfähig, es als Frühwarnsystem nutzt und sich auf den Weg macht, dann, glaube ich, arbeitet man genau so, wie es sich die EU-Kommission vorgestellt hat.

Nehmen wir das Beispiel Kreislaufwirtschaft als aktuell stark beachteten Teilaspekt der Nachhaltigkeit. Welche Probleme und Chancen ergeben sich für Unternehmen?

Die Schwierigkeit ist, schnell an die Daten zu kommen, die aufzeigen, wo Ressourcen verschwendet werden und wo Material- oder auch Energieverluste stattfinden. Also auch zu prüfen, welche finanziellen Verluste entstehen, und gleichzeitig zu evaluieren, wie es sich werterhaltend wirtschaften lässt. Die Chance ist, dass die Kreislaufwirtschaft die Profitabilität des Unternehmens erhöhen kann. Wir hören von vielen Unternehmen, dass sie neue Geschäftsfelder erschließen, indem sie verstärkt in Miet- oder Leasingsysteme investieren, bei denen sie Produkte und Dienstleistungen für eine gewisse Zeit aus der Hand geben und später wieder zurücknehmen, um sie auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Damit kann zum Beispiel auch die Kundenbindung erhöht werden, was wiederum eine positive Auswirkung auf die Planbarkeit von Geschäftsmodellen hat.

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Was ist aus Ihrer Sicht entscheidend für eine nachhaltige Transformation?

Für mich ist die Haltung, neugierig zu sein und die Chancen von Nachhaltigkeit zu sehen, der Schlüsselfaktor schlechthin. Darüber hinaus sind für mich Zukunftsmut und die Kreativität, neue Lösungen zu entwickeln, neben unternehmerischer Resilienz und dem Aufbau notwendiger Kompetenzen im Unternehmen, um zum Beispiel Lebenszyklusanalysen von Produkten und Dienstleistungen durchführen zu können, Faktoren, die eine nachhaltige Transformation begünstigen.

Mit welchen Konsequenzen müssen Unternehmen rechnen, bei denen das Thema Nachhaltigkeit nur eine untergeordnete Rolle spielt?

Ausgelistet zu werden und Aufträge zu verlieren, denn die Ausweitung gesetzlicher Berichtspflichten und die weitergehende EU-Regulierung lenken den Blick auf die Frage, inwieweit Unternehmen Nachhaltigkeit glaubwürdig umsetzen und Nachhaltigkeitsattribute belegbar sind. So fordert die Green-Claims-Richtlinie einen wissenschaftlich fundierten Nachweis der Nachhaltigkeitseigenschaften eines Produkts. Die zweite Folge sind höhere Kapitalkosten, da sich auch der Bankensektor verstärkt mit Nachhaltigkeit auseinandersetzt. Sei es, dass Nachhaltigkeitsfaktoren in das Kreditrating einfließen, oder auch, dass bei Investitionsentscheidungen Nachhaltigkeit mit einem niedrigeren Zinssatz positiv bewertet wird. Drittens werden sich auch die Versicherungskosten verändern, wir gehen davon aus, dass nachhaltige Investitionen zu günstigeren Konditionen versichert werden können. Wenn dann noch die öffentliche Hand mit Bürgschaften und Rückversicherungen von Krediten für Transformationsfinanzierung einsteigt, haben wir den virtuellen Kreislauf geschaffen, der nötig ist, um auch die betriebswirtschaftlich überzeugenden Argumente auf den Tisch zu legen, warum sich Unternehmen des Themas Nachhaltigkeit annehmen sollten. All das kommt in den nächsten zwei Jahren in Gang.

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Welche Kompetenzen müssen dafür in Organisationen aufgebaut werden und ist ein Kulturwandel notwendig?

Ich nehme wahr, dass neben der Reflexionsfähigkeit vor allem die Fähigkeit gebraucht wird, dringliche Nachhaltigkeitsthemen sachlich zu diskutieren. Wir müssen wegkommen von der Polarisierung. Nachhaltigkeit ist ein Thema, das im unternehmerischen Interesse liegt. Denn was ist falsch daran, eine weltweit nachhaltige Entwicklung anzusteuern? Ich empfinde es als verrückt, welche Schlagseite die öffentliche Diskussion teilweise schon genommen hat. Insofern ja, es ist ein unternehmenskulturelles Thema, weil es auch – je nachdem, wie aufgeheizt eine Diskussion in den Unternehmen schon ist – sehr viel Mut erfordert, den Reaktionen den Raum zu geben, der notwendig ist, um perspektivisch die Möglichkeit einer sachlichen Debatte zu schaffen.

Wo finden Unternehmen praktische Hilfestellungen, um das Heft in die Hand zu nehmen?

Bei B.A.U.M. e.V. arbeiten wir relativ viel mit kleinen Formaten wie den Unternehmenstreffs Nachhaltigkeit, die für Mitglieder und Nichtmitglieder offen sind und alle 14 Tage freitags unterschiedliche Themen auf die Agenda setzen. Außerdem bauen wir gerade eine digitale Akademie für betriebspraktische E‑Learnings auf, um prozesshaftes Lernen zu ermöglichen. Mit dem digitalen B.A.U.M. haben wir eine Plattform für Mitglieder und Nichtmitglieder geschaffen, auf der wir einen gesunden Mix aus kostenlosen und kostenpflichtigen Inhalten anbieten wollen, und sich Interessierte zeitunabhängig kleine Lerneinheiten von maximal 20 Minuten anschauen können. Die Themen sind breit gefächert: vom Einstieg in nachhaltiges Wirtschaften über die Frage, was auf Unternehmen regulatorisch konkret zukommt, bis hin zu Zertifikatslehrgängen für nachhaltige Beschaffung.

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Sie sind Mitglied in der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), die die Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung für KMU formuliert. Was erwarten Sie an konkreten Änderungen oder Anforderungen für Unternehmen wie unsere mittelständischen Büromöbelhersteller?

Ich erwarte vom Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung, dass er den Deutschen Nachhaltigkeitskodex an die europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards anpasst, um den mittelständischen Unternehmen das Leben zu erleichtern. Meiner Meinung nach muss sowohl bei den European-Sustainability-Reporting-Standards (ESRS) als auch den KMU-Standards noch viel Übersetzungsleistung erbracht werden, damit sie angewendbar werden. Ich sehe allerdings derzeit noch nicht, dass die EFRAG die Instrumente zur Verfügung stellt, die es Unternehmen möglich machen, sie pragmatisch umzusetzen. Wir haben seit elf Jahren den Deutschen Nachhaltigkeitskodex als freiwilligen Transparenzstandard, der kostenlos, aus Steuermitteln finanziert, eine Datenbanklösung zur Verfügung stellt, mit der Unternehmen ihre Berichterstattung anlegen können. Und es gibt auch das Commitment des Rats für Nachhaltige Entwicklung, dass der Nachhaltigkeitskodex an die ESRS-Kriterien angepasst werden soll. Das heißt, Unternehmen, ob sie berichtspflichtig sind oder freiwillig nach den europäischen Berichtsstandards berichten möchten, werden vermutlich im Laufe des nächsten Jahres mit dieser etablierten Datenbankstruktur gesetzeskonform berichten können. Dann hätten wir die Brücke gebaut.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Zwick.

Yvonne Zwick, Diplom-Theologin, ist Vorsitzende des B.A.U.M. e.V.. Das Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften setzt sichfür eine lebenswerte Zukunft durch nachhaltiges Wirtschaften ein. Seit November 2021 arbeitet Zwick auch als Expertin in der Expertenarbeitsgruppe KMU der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) mit, die den europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandard für mittelständische Unternehmen ausarbeitet. Weitere Informationen zum B.A.U.M. e.V. unter https://www.baumev.de/.

Titelbild: Yvonne Zwick