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Arbeitsmodelle in Zeiten von Future Work: Anywhere-Office-Interview mit Corinna Döpkens

Work Culture Festival

Corinna Döpkens, Expertin für Business Travel
IBA Redaktionsteam IBA Redaktionsteam ·
8 Minuten

Ortsflexible Arbeitsmodelle können für Arbeitgeber ein Wettbewerbsvorteil sein, um Mitarbeiter zu finden und zu halten. Gleichzeitig ist die Umsetzung dieser neuen Konzepte eine komplexe Aufgabe für die Unternehmen und viele sind unsicher, ob und wie sie diese verankern können. Die IBA Forum Redaktion sprach mit Corinna Döpkens, Expertin für Business Travel und Mobility, über Workation und Bleisure Travel sowie darüber, wie die Verbindung von Arbeiten und Reisen in der Praxis umgesetzt werden kann.

Du sprichst auf dem Work Culture Festival über das Thema Anywhere Office. Was macht dieses Konzept für dich so interessant?

Ich arbeite seit vielen Jahren in der Tourismusbranche und konnte Arbeiten und Reisen immer schon verbinden. Noch im Angestelltenverhältnis habe ich zum Beispiel Geschäftsreisen privat verlängert. Wenn ich eine Konferenz in Dubai hatte, habe ich das Wochenende drangehängt. Oder auch mal in meiner Ferienwohnung auf Rügen gearbeitet, als ich noch in Hamburg wohnte. Meine Vorgesetzten haben mir damals diese Freiheiten gelassen. Später in der Selbständigkeit konnte ich dieses Modell noch mehr leben, habe aus meinem 2nd Home Kapstadt oder an anderen schönen Orten gearbeitet. Ohne Begriffe wie Bleisure Travel und Workation zu verwenden.

Durch die Corona-Pandemie ist das Thema ortsflexibles Arbeiten auch in Unternehmen und Medien präsenter. Sprich das, was ich immer gelebt habe, bekommt plötzlich einen Namen und wird zum Trend. Meine Erfahrungen werden nach und nach zu Insights, die ich weiter vertiefe – im Rahmen meiner Beratung und meiner Dissertation und auch über Artikel in Magazinen und Interviews. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen (so wie ich) ortsflexibel produktiver arbeiten können und es ist einfach klasse zu sehen, wie meine Idee von Arbeit nach und nach zum guten Ton in Unternehmen gehört.

Was ist das Anywhere Office?

Im engeren Sinne ist das eigentlich eine Workation. Sprich das Büro oder Homeoffice wird an einen anderen Ort verlegt und man arbeitet für Tage oder Wochen remote. Workation kann, muss aber nicht im Ausland stattfinden. Man kann auch, wenn man in Berlin lebt und arbeitet, sein Office für eine gewisse Zeit nach Rügen verlegen. Im eigenen Land ist das rechtlich und steuerrechtlich wesentlich einfacher. Viele wollen natürlich auch ins Ausland. Da wird es schon etwas komplizierter.

Wir betrachten daneben aber noch das Thema Bleisure Travel. Das ist die private Verlängerung einer Dienstreise. Hier liegt der Fokus auf der Dienstreise, die dann zum Beispiel über das Wochenende privat verlängert wird. Vielleicht nimmt man auch den Partner oder die Familie mit.

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Welches sind deiner Meinung nach die größten Vorteile ortsflexibler Arbeitsmodelle für Unternehmen und Mitarbeiter?

Für mich persönlich bedeutet Ortsflexibilität vor allem Inspiration und Produktivität. Von morgens bis abends am Schreibtisch zu sitzen, kann ich mir auf Dauer nicht vorstellen. Ich kann am besten arbeiten, wenn ich nur bestimmte Zeitfenster am Tag zum Abarbeiten habe. Und wenn ich irgendwo anders arbeite, auch wenn ich am Schreibtisch sitze und nur aus dem Fenster schaue und in der kalten Jahreszeit die Sonne oder grüne Landschaft sehe, dann habe ich eine andere Inspiration und bin kreativer. Und ich glaube, das geht vielen Menschen so. Ich bin davon überzeugt, dass die Unternehmen das bemerken und die Mitarbeiter es einfordern, weil sie es in der Corona-Zeit selbst festgestellt haben. Diese Freiheit muss man den Mitarbeitern heute einfach lassen. Man kann sie nicht mehr in alte Muster zwängen und verpflichten, von 9 bis 17 Uhr im Büro zu sitzen. Außerdem hat jeder Mensch einen anderen Biorhythmus. Für mich ist das Positive am Anywhere Office nicht nur die Ortsflexibilität, sondern auch die Zeitflexibilität. Ich kann morgens zwischen 6 und 9 Uhr eine superproduktive Phase haben und nach 17 Uhr wieder voll durchstarten. In klassischen Organisationen ist das zum Teil gar nicht möglich oder gewünscht. Für mich inzwischen unvorstellbar, dass Arbeit so viele Jahre nur unflexibel möglich war.

Was sind deiner Meinung nach die größten Schwierigkeiten für Unternehmen bei der Umsetzung von Workation-Konzepten?

Neben rechtlichen und steuerlichen Aspekten sind es Dinge und Themen, die erst nach und nach auftauchen und an die man auf Unternehmensseite zunächst gar nicht gedacht hat. Viele innerorganisationale Prozessthemen wie Antragstellung und Prüfung durch HR, Klärung von Abläufen und Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit Unfällen oder Geräteverlust, Mitarbeitergespräche zur Vorbereitung der Workation-Zeiten, Arbeitsmittel und ergonomisches Mobiliar fallen darunter. Es geht aber auch darum, wie und wo die Mitarbeiter arbeiten. Man kann nicht überall gut arbeiten. Also wenn im Hotelzimmer kein Schreibtisch ist, wo soll man dann arbeiten? Oder vielleicht hat man einen Schreibtisch, aber einen ganz unbequemen Stuhl. Solche Dinge muss man im Vorfeld bedenken und da ist zum großen Teil noch völlig ungeklärt, wer dafür zuständig ist, Stichwort Fürsorgepflicht. Denn Arbeitgeber sind dafür verantwortlich, dass ihre Mitarbeiter ein gutes Arbeitsumfeld haben. Und auch Dinge wie Datenschutz und Versicherungsfragen fallen immer wieder hinten runter. Wer muss sich also um eine Versicherung kümmern, der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber? Bei Bleisure Travel ist es ja so, dass die Mitarbeiter ihren Aufenthalt privat verlängern. Die meisten Unternehmen haben zum Beispiel eine Reiseversicherung für den geschäftlichen Teil. Aber für die private Verlängerung muss der Mitarbeiter selbst eine Auslandsreiseversicherung abschließen. Viele wissen das nicht, weil sie denken, sie gehen ja auf Geschäftsreise.

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Ohne ortsflexible Arbeitsmodelle wird es in Zukunft nicht mehr gehen. Corinna Döpkens

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Welche Unternehmenskultur braucht es für die Einführung ortsflexibler Arbeitsmodelle?

Eine offene, kommunikative, mitarbeiterorientierte Kultur, in der die Mitarbeiter auch gehört und nach ihren Bedürfnissen gefragt werden. Arbeit in Verbindung mit Reisen ist ein sensibles Thema in Unternehmen. Hier kann es helfen, sich mit der Mitarbeiterperspektive auseinanderzusetzen und vorab zu analysieren, was die Mitarbeiter überhaupt wollen. Im Rahmen meiner Dissertation an der TU Dortmund führen wir derzeit eine quantitative Online-Befragung von Mitarbeitern durch, um ihre Einschätzungen und Erfahrungen zu Workation und Bleisure Travel zu erfassen. Ziel ist es, ein umfassendes Bild der aktuellen Situation zu erhalten und die Bedürfnisse und Erwartungen an die Zukunft der Arbeit besser zu verstehen und daraus neue Anforderungen für das Personalmanagement abzuleiten. Die Ergebnisse der Studie sind Teil meiner Dissertation, an der ich gerade arbeite.

Ist Workation deiner Meinung nach zu einem Employer-Branding-Faktor geworden?

Viele Bewerber fragen heute schon in Vorstellungsgesprächen nach den Möglichkeiten des ortsflexiblen Arbeitens und auch für bestehende Mitarbeiter wird das Thema interessanter. Daher ist Workation meiner Meinung nach definitiv ein Employer-Branding-Faktor. Ich habe selbst schon einige Interviews mit Mitarbeitern geführt, die auf Workation waren und die ganz klar sagen: Mein alter Arbeitgeber hat das nicht gemacht, da würde ich nie wieder arbeiten, denn das lasse ich mir nicht nehmen. Und wenn man das als Unternehmen nicht anbietet, hat man einfach einen Wettbewerbsnachteil.

Ist Workation nur ein Thema für die jüngere Generation?

Es stimmt, dass sich häufig jüngere Arbeitnehmer für Themen wie Workation interessieren. Aber grundsätzlich ist es ein Thema für alle Altersgruppen. Workation hat dabei oft einen familiären Hintergrund, die Mutter, die in der Schweiz lebt und krank ist, der Partner, der in Griechenland lebt, oder man hat ein Ferienhaus in Spanien und wollte schon immer mehr Zeit dort verbringen.

Welche Tipps hast du für Unternehmen, die das Thema Workation zu ihrem machen wollen?

Ich empfehle, klein anzufangen und Schritt für Schritt vorzugehen. An erster Stelle steht für mich die Mitarbeiterbefragung, um ein Gefühl für den tatsächlichen Bedarf zu bekommen. Welche Motivation steckt dahinter, welche Länder kommen infrage? Und wenn ein Mitarbeiter in Spanien arbeiten will, dann lasse ich erst einmal das rechtlich prüfen. Und dann kann man sukzessive den Radius auf andere Länder ausdehnen. Ich empfehle auch, mit Checklisten zu arbeiten. Im ersten Schritt, um als Unternehmen die bestehenden Prozesse zu durchleuchten und zu ermitteln, wo Änderungen notwendig sind. Und auch, um den Mitarbeitern zu vermitteln, welche Kriterien im Vorfeld eigenverantwortlich zu klären sind und was in der Verantwortung des Arbeitgebers liegt.

Corinna, vielen Dank für das Gespräch.

Corinna Döpkens ist Expertin für Business Travel und Mobility, Doktorandin an der Heisenberg-Professur für Arbeits- und Organisationssoziologie (TU Dortmund) sowie freie Autorin im Bereich „Future Work & Reisen“. Im Rahmen ihrer Dissertation mit dem Titel „Bleisure Travel & Workation – neue Formen von zeitlicher und räumlicher Entgrenzung von Arbeit“ an der TU Dortmund betrachtet sie das Gebiet aus der wissenschaftlichen Perspektive. Wenn Corinna nicht auf Rügen oder in Hamburg ist, arbeitet sie unterwegs – rund um den Globus, am liebsten aber in ihrem „second home“ Kapstadt. Weitere Informationen: workationcollection.com, www.cd-travelmanagement.com und https://www.linkedin.com/in/corinna-doepkens/

Titelbild: Corinna Döpkens