Zuzana Blazek, Senior-Researcher am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln und Expertin im Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA), sprach auf der ORGATEC über das Thema Resilienz im Arbeitsalltag und wie wir uns auf eine unvorhersehbare Zukunft vorbereiten können. Anlass für das IBA Forum, noch einmal mit ihr zu sprechen.
Frau Blazek, die Arbeitswelt ist von Veränderung, Geschwindigkeit und Komplexität geprägt. Gleichzeitig ist viel von Resilienz die Rede. Wie schätzen Sie die Situation ein? Brauchen wir die psychische Widerstandsfähigkeit so sehr viel mehr als früher?
Wir befinden uns zurzeit in einer besonderen Situation: Wir wurden in eine Pandemie hineinkatapultiert, an die sich nahtlos die Ukraine-Krise anschloss, und parallel zu all dem sind wir mit der Klimakrise konfrontiert – große und unvorhersehbare Bedrohungen in rasanter Geschwindigkeit. Dabei hat sich unsere Welt schon vor Corona massiv verändert, denken wir an Globalisierung und Digitalisierung. Als Mensch fordern uns diese Veränderungen sehr: im Privaten, aber auch in der Arbeitswelt. Diese Herausforderungen erfordern neue Konzepte, Prozesse und Strategien. Wenn ich mit Unternehmen spreche, bekomme ich immer öfter die Rückmeldung, dass ihre größte Herausforderung zurzeit die psychische Belastung ihrer Mitarbeitenden und vor allem ihrer Führungskräfte ist. Daher: Ja, wir müssen den Faktor Mensch in Unternehmen stärker in den Fokus nehmen und, ja, wir brauchen in der aktuell sehr fordernden Situation einiges mehr an Resilienz, und das auf allen Hierarchiestufen.
Kann man Resilienz lernen? Und wen sehen Sie hier in der Pflicht, eher die Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer selbst?
Ich würde nicht sagen, dass man Resilienz klassisch lernen kann. Aber Resilienz lässt sich trainieren. Und das unabhängig von Alter und Grad der Resilienz, mit der jeder Einzelne ausgestattet ist. Jeder kann an seiner Resilienz arbeiten, sie trainieren und dadurch stärken. Es sollte dabei im Interesse aller liegen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, etwas für eine bessere psychische Widerstandsfähigkeit zu tun. Unternehmen sollten die Tatsache nutzen, dass Resilienz trainierbar ist und Resilienz-Trainings fest in ihr Gesundheitsmanagement integrieren. Solche Trainings sind aber nicht mit einem einmaligen Workshop getan. Es geht um kontinuierliche Arbeit an sich selbst und das geht nur mit innerer Bereitschaft und Zeit. Im besten Fall haben Mitarbeiter zusätzlich zu den Trainings einen guten Coach an ihrer Seite, der sie dabei unterstützt, an ihrer persönlichen Resilienz zu arbeiten.
Wie könnte das aussehen?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man das Thema Resilienz angehen kann. Wichtig ist, das Thema aktiv im Unternehmen zu kommunizieren, zu erklären, was sich dahinter verbirgt und was es jedem Einzelnen bringt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Ich empfehle Unternehmen, dass die Geschäftsführung und Führungskräfte als Vorbilder vorangehen sollten. Sie können zeigen, wie gewinnbringend es ist, an solchen Resilienz-Trainings teilzunehmen. Das verringert Vorbehalte und Ängste, die Mitarbeitende haben könnten, selbst teilzunehmen. Mitarbeitende, die an ihrer individuellen Resilienz arbeiten sind aber nur das Eine. Damit sie dann auch gut, gesund und motiviert in Organisationen arbeiten können, müssen auch die Rahmenbedingungen im Unternehmen passen – das heißt, es gilt, parallel Resilienz-fördernde Strukturen in den Organisationen aufzubauen. Denn mangelt es in Unternehmen an Wertschätzung, guter Kommunikation, Freiraum und Vertrauen und fehlen darüber hinaus Leitbilder, gemeinsame Werte, eine offene Fehler- und Lernkultur, ist ein gesundes und widerstandsfähiges Arbeiten der Individuen fast unmöglich.
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Inwieweit kann Unternehmenskultur Resilienz-fördernd sein?
Das geht Hand in Hand. Viele Dinge, die ich gerade genannt habe, sind ein Teil von Unternehmenskultur: Wie kommunizieren wir? Wie gehen wir miteinander um? Was sind unsere Werte und Leitbilder? Wo wollen wir hin? Wie gehen wir mit Fehlern im Unternehmen um? Das alles ist Unternehmenskultur. Wichtig dabei zu wissen ist: Führungskräfte nehmen in der Ausgestaltung der Unternehmenskultur eine zentrale Rolle ein. Sie tragen enorm viel dazu bei, ob ein Unternehmen weiterhin wettbewerbsfähig bleibt, Mitarbeitende halten und motivieren kann und insgesamt als resilientes Unternehmen in die Zukunft geht.
In einer hybriden Arbeitswelt wird es für Unternehmen zunehmend schwieriger und gleichzeitig auch wichtiger, ihre Mitarbeiter an sich zu binden. Haben Sie eine Empfehlung für Arbeitgeber und Führungskräfte?
Wir werden immer digitaler. Wichtig ist, dass Führungskräfte die Fähigkeit entwickeln, zu erkennen, wie viel und was online oder offline stattfinden muss. Für die Mitarbeiterbindung ist es wichtig, dass Arbeit nicht ausschließlich digital stattfindet, sondern dass das Büro eine Art feste Andockstation wird, in der man als Mitarbeitender regelmäßig Unternehmenskultur erleben und auftanken kann. Eine Art Erlebnisraum, in dem man mit Kolleginnen und Kollegen sozial zusammen sein und im Team Ideen generieren kann. In Zukunft braucht es empathische Führungskräfte, die gute Sozialkompetenzen haben, kommunikationsstark sind und Mitarbeitende nach deren individuellen Bedürfnissen führen. Die Führungskraft spielt also eine ganz zentrale Rolle beim Thema Mitarbeiterbindung. Man sagt nicht umsonst „Man kommt wegen des Jobs, man geht wegen des Chefs“. Zufriedene Mitarbeiter sind übrigens auch der effektivste Weg, neue Mitarbeiter zu rekrutieren! Mitarbeiterbindung ist also eine doppelte Investition und in Zeiten von Fachkräftemangel und höherer Wechselbereitschaft wichtiger denn je.
Welche Skills müssen sich Führungskräfte aneignen, um für sich selbst innere Stärke in künftigen Change-Prozessen aufzubauen?
Vor allem müssen Führungskräfte lernen, ausreichend Selbstfürsorge zu betreiben. Und nicht nur das: Das Vorleben von Grenzen und bewussten Auszeiten ist dabei das beste Vorbild für Mitarbeitende. Darüber hinaus müssen Führungskräfte den Mut haben, von ihren Unternehmen aktiv einzufordern, sich um sich selbst, ihre persönliche Resilienz und um ihre eigenen Ressourcen kümmern zu dürfen. Gerade die hohe Relevanz und neue Rolle der Führungskraft als empathischer Coach der Mitarbeitenden macht Selfcare so wichtig. Nur wer für sich sorgt, kann gesund, leistungsstark und motiviert arbeiten und sich auch um das Wohlbefinden anderer kümmern.
Frau Blazek, wir danken Ihnen für das Gespräch.