Der Autor und Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Ingo Hamm befasste sich bei seinem Vortrag auf der New Work Experience im Juni 2022 in Hamburg mit dem Thema Purpose, dem sinnstiftenden Aspekt von Arbeit, und setzte sich kritisch mit der aktuellen Purpose-Diskussion auseinander.
Für ihn wirkt diese Debatte an vielen Stellen übertrieben. Sinnfindung sei immer ein individueller Prozess, da hälfen weder eine Verordnung von oben noch theatralische Purpose-Formulierungen, die oft am eigentlichen Unternehmenszweck vorbeigingen. Wer könne sich beispielsweise vorstellen, dass „To inspire and nurture the human spirit“ das Motto für den Purpose von Starbucks sei?
Sinnfindung ist individuell und entsteht beim Tun
Für Hamm sollte ein „Purpose“ immer so formuliert werden, dass er einfach und ehrlich wirkt, Employer Branding wiederum solle sich an die Fakten halten. Sinn bei der Arbeit zu finden ist für ihn etwas Individuelles, das beim eigentlichen Tun entsteht und nicht im Unternehmenspurpose begründet liegt. Der Professor der Wirtschaftspsychologie hält es hier wie Viktor Frankl, der österreichische Neurologe, Psychiater und Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, für den Sinn nicht gegeben werden konnte, sondern gefunden werden musste.
Hamm verwies in seinem Vortrag auf das Modell der US-amerikanischen Psychologen Richard Hackman und Greg Oldham, die fünf Arbeitscharakteristiken beschreiben, die Selbstwirksamkeit durch die eigentliche Tätigkeit entstehen lassen:
- Anforderungsvielfalt
- Ganzheitlichkeit
- Bedeutsamkeit
- Autonomie und
- Feedback.
Arbeit ist demnach erfüllend, wenn sie abwechslungsreich, bedeutsam und ganzheitlich ist, eigenständig ausgeführt werden kann und Rückmeldungen gegeben werden. Sinnfindung passiere dabei meist sehr konkret und kompetenzbezogen.
Die eigene Tätigkeit als Treiber für mehr Begeisterung bei den Mitarbeitern
Hamm verwies in seinem Vortrag darüber hinaus auf zwei eigene Studien, die Tätigkeiten an sich als Haupttreiber für die Begeisterung von Mitarbeitern identifizieren. Seine repräsentative Studie aus dem Jahr 2019, die er zusammen mit der Expertin für Transformationsprojekte und Geschäftsführerin der impactWunder Strategieberatung, Wiebke Köhler, durchführte, kommt dabei zu dem Ergebnis, dass gerade Trendthemen wie die Purpose-Diskussion wenig zur Steigerung der Motivation bei Mitarbeitern eines Unternehmens beitragen. Es sind vielmehr eine erfüllende Tätigkeit, authentische, verlässliche Führung, die Fürsorge durch den Arbeitgeber und ein Gefühl der Sicherheit, das er den Mitarbeitern gibt, sowie Selbstverwirklichung und die Möglichkeit, das eigene Potenzial zu entfalten, die positive Effekte haben. Auch Hamms zweite Studie mit 18- bis 29-jährigen Studenten an der Hochschule Darmstadt, denen unterschiedliche Stellenanzeigen vorgelegt wurden, einmal solche, die sinnstiftende Tätigkeiten versprachen, und ein anderes Mal solche, die von mehr oder weniger purposegetriebenen Unternehmen zu stammen schienen, zeigt deutlich: Der konkrete Job und die mit ihm verbundenen Bedingungen sind wichtiger als der Unternehmens-Purpose. Einfach nur Sinn zu postulieren bringe gar nichts, es zähle der Inhalt einer Tätigkeit und im besten Fall eine gute Kombination aus beidem.
Passgenauigkeit von persönlichen Kompetenzen mit dem Bedarf eines Unternehmens herstellen
Prof. Hamm fordert Mitarbeiter zu mehr Eigenverantwortung auf. Sich frühzeitig seiner Kompetenzen bewusst zu werden sei eine wichtige Voraussetzung für die individuelle Sinnerfüllung im Job. Die Purpose-Diskussion fordere aber auch ein Umdenken auf Unternehmensseite. Anhand kompetenzorientierter Interviews bereits im Recruiting die passenden Kandidaten herauszufiltern und Weiterbildungsangebote für bestehende Mitarbeiter eng an vorhandenen Kompetenzen auszurichten – das sind für Hamm wichtige Anforderungen an Personaler und HR-Verantwortliche, ebenso wie die Implementierung von Projektkarrieren neben klassischen hierarchischen Karrieren. Im Übrigen rät Hamm Führungskräften von einer Vermischung von Führungsaufgaben und Coachingfunktion ab. Inhaltliche Verantwortung und persönliche Weiterentwicklung sind für ihn zwei unterschiedliche Paar Stiefel. Ein vertrauensbildender Führungsstil, der nicht zu persönlich werden muss, werde von vielen Mitarbeitern eindeutig bevorzugt.