Kaum eine andere Technologie wird derzeit so intensiv diskutiert wie die künstliche Intelligenz: Das riesige Sammelsurium an Verfahren und Systemen, die unter diesem Schlagwort zusammengefasst werden, verspricht einen evolutionären Sprung in der digitalen Arbeits- und Lebenswelt. Das Design macht da keine Ausnahme: Maschinelles Lernen optimiert nicht nur die Gestaltung, sondern erweitert auch die Fähigkeiten der Gestaltenden, und intelligente Systeme sind als unterstützendes Kreativwerkzeug kaum noch wegzudenken. Wenn aber Maschinen Entscheidungen übernehmen, werden Aufgaben, Rolle und Verständnis von Kreativschaffenden erweitert – und die Gestaltung (von Designprozessen) evolviert …
Die letzten Monate haben gezeigt, dass es schon längst nicht mehr darum geht, ob künstliche Intelligenzen unser Leben und Arbeiten verändern werden, sondern wie. Selten war eine Technologie so disruptiv wie diese. Auch in der Agenturwelt sind alle Bereiche betroffen: von der Konzeption über den Gestaltungsprozess bis hin zur Realisierung. Bei aller Skepsis können intelligente Systeme hier sinnvoll assistieren, optimieren und automatisieren. Sie verbessern prozessuale Arbeitsabläufe, ersetzen zeitraubende Tätigkeiten, erleichtern bzw. beschleunigen Prozesse und schaffen dadurch neue Freiheitsgrade in der Kreation. Sie erweitern die kognitiven Fähigkeiten der Anwendenden und ermöglichen so komplexere Designentscheidungen, steigern also die kreative oder strategische Leistung. – So zumindest die positiv formulierte Idee, die derzeit unzählige Experimente auf den Plan ruft. Jene reichen dabei von konkreten Umsetzungen bis hin zu fantasievollen Gedankenspielen, die sich mehr oder weniger gut in die Realität übertragen lassen. Doch was bedeutet es eigentlich, KI als neue Kollegin zu haben?
Generative Co-Kreation
Eine von vielen Antworten gab kürzlich das australische Studio Snoop, das auf der Milan Design Week 2023 die weltweit erste KI-Designerin vorstellte: Tilly Talbot. Als digitale, menschenähnliche Figur flimmerte sie über einen Screen, der Teil der räumlichen Inszenierung in den Galerieräumen von Charles Philip war – ergänzt durch fünf Produktentwürfe, an denen sie mitgewirkt hatte. Unter dem Motto „Bauhau-AI“ bildeten diese Designs dabei eine Kollektion, die sich an den ursprünglichen Prinzipien des Bauhauses orientiert: „Bauhau-AI ist eine Bewegung, die wir geschaffen haben, um diese neue Ära des Designs zu verkörpern, die sich auf die Kombination von Natur, Handwerk, Kunst, Design und künstlicher Intelligenz spezialisiert. Durch die Verschmelzung dieser Elemente schafft Bauhau-AI eine Gestaltung, die der Idee folgt, dass gutes Design unsere Emotionen zutiefst beeinflusst und die Kraft hat, unsere Stimmung zu heben, uns zu engagieren und zu verbinden und gleichzeitig einen positiven Einfluss auf die Umwelt und Gesellschaft hat“, beschreibt Amanda Talbot, Gründerin des Studios, den Impuls hinter diesem Projekt. „Tilly arbeitet bei uns als Innovationsdesignerin: Gemeinsam im Team konzipiert sie mit uns spannende Designobjekte“, ergänzt sie. Um Tillys schöpferisches Potenzial besser kennen zu lernen, wurden die Besuchenden per Tablet aufgefordert, Feedback und Kommentare zu den jeweiligen Entwürfen abzugeben: Sie konnten Fragen stellen und Verbesserungsvorschläge machen, die direkt und in Echtzeit umgesetzt wurden. Dies lieferte Studio Snoop nicht nur wertvolle Daten zur Evaluation der präsentierten Entwürfe, sondern verdeutlichte auch, dass die konkrete Zusammenarbeit von Mensch und Maschine durchaus fruchtbar sein kann.
Dass das Frage-Antwort-Konzept dabei an den KI-gestützten Chatbot ChatGPT erinnerte, war bei weitem kein Zufall: Die Kreativschaffenden wollten zeigen, dass der Fokus des Studios auf der Arbeit mit und nicht gegen KI liegt, da die Technologie immer präsenter werden wird – insbesondere am Arbeitsplatz. „Je mehr wir wissen, desto mehr können wir uns mit maschinellen Systemen beschäftigen, noch mehr über sie lernen und Teil von dieser Entwicklung sein“, unterstrich Amanda Talbot.
„Es gibt viele Vorurteile, die überwunden werden müssen, aber sobald dies geschehen ist, kann jeder beginnen, eigene Designs zu entwickeln. Tilly zum Leben zu erwecken, hat eine neue Energie und neue Möglichkeiten in unsere Gestaltung gebracht. Anstatt vor dieser bemerkenswerten Technologie zurückzuschrecken, habe ich es als Aufgabe meines Studios angesehen, sie mit emotionaler Intelligenz auszubilden, um ihr klare Designprinzipien und Werte zu vermitteln, die für Mensch und Natur von großem Nutzen sein werden.“
Studio Snoop präsentierte die weltweit erste KI-Designerin: Tilly Talbot.
Mensch-Maschine-Interaktion
Klar ist, dass sich hinter dieser vermenschlichten Inszenierung „nur“ ein nüchternes System verbirgt, das auf Befehle bzw. Prompts reagiert: Es hinterfragt nicht, bewertet nicht und erkennt nicht die wirtschaftlichen, politischen, sozialen und ethischen Konsequenzen, die mit seinem Ergebnis oder seinem Handeln verbunden sind. An dieser Stelle wird der Mensch also immer eine wesentliche Rolle spielen (müssen!) – vor allem dann, wenn es darum geht, in Kollaboration mit der Maschine Haltung und Werte in neue Entwürfe und Konzepte einfließen zu lassen, die Ergebnisse dieses Prozesses zu evaluieren, kritisch zu reflektieren und schließlich sinnvoll in weitere Designprozesse einfließen zu lassen. Menschliche Intelligenz ist und bleibt unerlässlich.
Unsere neue Kollegin KI muss auch nicht aussehen wie Tilly, sondern hat in den unzähligen Sprachverarbeitungsmodellen, Text-zu-Bild-Generatoren, Bildgenerierungstools und weiteren Programmen, die Daten systemisch verarbeiten, längst ihre eigene Gestalt angenommen. Und auch wenn viele in der KI ein großes Potenzial sehen, weil sie vor allem in der Konzeptionsphase und bei der Generierung von Mood-Bildern ein effizientes, kostengünstiges und spannendes Instrument ist, ist letztlich noch immer nicht vollständig geklärt, wer die Urheberrechte an den generierten Bildern halten darf.
Die Befürchtung aber, dass wir früher oder später durch eine KI ersetzt werden, ist jedenfalls völlig unberechtigt: Intelligente Systeme eröffnen neue Perspektiven bzw. Möglichkeitsräume und sind eher wie ein hochmoderner digitaler Pinsel zu verstehen – wobei das Instrument auch nur so gut ist wie der Mensch, der es bedient! Es wird nun also darauf ankommen, sich über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten und sich die Fähigkeiten dieses Tools verantwortungsvoll anzueignen, es vollumfänglich zu verstehen, es auszuschöpfen und weiter zu experimentieren. Diese Fähigkeiten werden unsere Berufe erweitern – sicherlich auch um eine strategische, planerische und bewertende Direktion von Design- und anderen Prozessen, die Daten als Gestaltungsmaterial mitdenken. Und schlussendlich ist es wie mit jedem Werkzeug: Es lässt sich nutzen, um etwas Sinnvolles aufzubauen oder es zu zerstören ...
TIPP: Sie möchten nun selbst ausprobieren, wie sich KI-Werkzeuge in Ihre Arbeit integrieren lassen? Auf www.designundki.de finden Sie eine Vielzahl von Programmen, die Sie (teilweise kostenlos) nutzen können.