Cawa Younosi, bis Oktober 2023 Personalchef und Mitglied der Geschäftsführung von SAP Deutschland, ist einer der bekanntesten HR-Experten im DACH-Raum. Die IBA Forum Redaktion sprach mit ihm über Führungskultur, Diversität und Mitarbeiterbindung.
Cawa, du bist ein HR-Experte mit einer großen Fangemeinde. In der Vergangenheit hast du mit deinen Konzepten für Aufsehen gesorgt. Was sind deine konkreten Forderungen an eine zeitgemäß gestaltete Arbeitswelt?
Das Wichtigste ist heute die Erkenntnis, dass der Pool an Arbeitskräften knapp ist und bis zum Ende dieses Jahrzehnts noch knapper werden wird. Diese Erkenntnis ist bei vielen Arbeitgebern noch nicht angekommen, obwohl viel darüber gesprochen wird. Daraus ergibt sich fast automatisch, dass sich die Unternehmen vorrangig auf die Gewinnung neuer Talente fokussieren. Aber mindestens ebenso wichtig ist es, die bestehende Belegschaft zu halten. Bei Retention geht es darum, die Mitarbeitenden ganzheitlich, unabhängig des Anspruchs auf Arbeitsleistung, wahrzunehmen und auf ihre Anliegen und Bedürfnisse einzugehen, damit sie wenig Grund haben, über einen Weggang nachzudenken. Das fängt bei der Wertschätzung an, geht über eine zeitgemäße Entlohnung und endet beim ehrlichen Zuhören. Dann entsteht eine Kultur, in der die Mitarbeitenden auch in Zukunft gerne arbeiten.
Wie sieht deine Vision für die Führungskultur der Zukunft aus?
Der Fisch stinkt immer vom Kopf her. Das macht die Führungskultur in Unternehmen zu einem wichtigen Faktor. Wenn es Unternehmen gelingt, Führungskräfte nach ihrer Persönlichkeit und ihren Führungsqualitäten auszuwählen und weniger nach ihrem fachlichen Können, ist ein erster Schritt getan. Wenn darüber hinaus Beschäftigte ermutigt werden, als Unternehmer im Unternehmen zu agieren, kann dies dem Vorstand die Steuerung erleichtern. Es braucht Vertrauen in die Belegschaft, Transparenz und das Zulassen einer Widerspruchskultur. Top-down alle zu Ja-Sagern zu machen, ist nicht die Lösung.
Welche Skills brauchen Führungskräfte, um eine gute Beziehung zu ihrem Team aufzubauen?
Vor allem emotionale Intelligenz, d. h. die Fähigkeit, eigene und fremde Emotionen zu verstehen und zu managen. Gleichzeitig Kommunikationsfähigkeit nach innen und außen. Teams müssen wissen, wohin die Reise geht, um daraus die notwendigen Schlüsse für die eigene Arbeit ziehen zu können. Zum Thema Kommunikation gehört für mich auch, Kritik nicht mit einem Achselzucken abzutun, sondern sich dafür einzusetzen, dass kritische Punkte noch einmal im Management diskutiert werden. Das erfordert Mut, Haltung und Konfliktfähigkeit. Denn es ist originäre Führungsaufgabe, widerstreitende Interessen zusammenzuführen. Mehr wertschätzendes Tacheles-Reden, das wünsche ich mir von allen Führungskräften.
Was macht Unternehmen für Talente attraktiv?
Wer sich für ein Unternehmen entscheidet, entscheidet sich vor allem für das Gesamtbild, das ein Unternehmen in der Öffentlichkeit repräsentiert, Stichwort Employer Branding. Umgekehrt, wer ein Unternehmen verlässt, verlässt in der Regel die Führungskraft. Hier liegt ein wichtiger Hebel, sich selbst zu reflektieren und sich zu hinterfragen, was hätte ich anders machen können, um Weggänge zu vermeiden und Talente im Unternehmen zu halten.
Wie wichtig ist Diversität am Arbeitsplatz und welche Vorteile hat sie für Unternehmen?
Diversity Management muss aus zwei Perspektiven betrachtet werden. Die wesentliche Perspektive ist, dass wir Menschen entsprechend ihrer Stärken und Schwächen so behandeln, dass sie die gleichen Ausgangsbedingungen haben wie alle anderen, um ihre Potenziale zu entfalten. Das ist für mich ein Grundrecht und ein Gebot der Fairness und des Anstands und weniger eine Frage des unternehmerischen Profits. Der finanzielle Vorteil für Unternehmen liegt darin, dass ich, wenn die Themen Weltoffenheit und Inklusion im Unternehmen verankert sind, eine größere Chance habe, ohne Unconscious Bias* die Talente für mein Team zu rekrutieren, die am besten zum Teamgefüge und zur Aufgabe passen, und nicht automatisch die Leute, die ich schon immer rekrutiert habe, von der gleichen Uni, aus dem gleichen Dorf etc.
Unconscious Bias sind unbewusste kognitive Verzerrungen, wie zum Beispiel automatische Stereotypen, und andere unbewusste Denkmuster, die tief verwurzelt sind.
Wie kann der Wissenstransfer zwischen den Generationen gelingen und welche Voraussetzungen müssen dafür in den Unternehmen geschaffen werden?
Wichtig ist die Durchlässigkeit in der Organisation und die aktive Arbeit gegen Vorurteile (Bias), die z.B. verhindern, dass jemand, nur weil er jung ist, eine Frau ist oder in Teilzeit arbeitet, bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten wie z.B. eine Führungslaufbahn nicht wahrnehmen kann. Was sich zwischen den Generationen und den verschiedenen Bereichen eines Unternehmens bewährt hat, sind Mentoring-Programme und auch Reverse-Mentoring, bei denen erfahrene und junge Beschäftigte mit- und voneinander lernen. Einseitiger Wissenstransfer funktioniert heute nicht mehr. In Zukunft wird auch das Thema Unlearning wichtiger werden, das Loslassen von altem Wissen, um Platz für neue Themen zu schaffen.
Unternehmen versuchen derzeit, ihre Mitarbeiter zumindest für einen Teil der Arbeitszeit zurück ins Büro zu holen. Wie stehst du dazu?
Ich finde es problematisch, per Anweisung feste Tage vorzugeben. Denn viele Unternehmen hatten bereits vor der Pandemie Vereinbarungen zum mobilen Arbeiten, die auf Flexibilität, Team- und Führungskräfteentscheidungen basierten. Hier wird ein Riesenschritt zurück gemacht und, was mich am meisten schmerzt: ohne Not. Es gibt selten eine betriebswirtschaftliche Begründung, die belegt, dass ich die drei Tage im Büro sein muss, um die gewünschte Produktivität, Kreativität etc. zu erreichen. Die meisten Beschäftigten wollen hybrid arbeiten, keiner will sich zu Hause in seiner Höhle verkriechen. Und wenn Mitarbeiter das tun, dann habe ich als Unternehmen ein ganz anderes Problem. Dann sind vielleicht die Arbeitsplätze nicht attraktiv genug oder die Unternehmenskultur lässt zu wünschen übrig. Daran sollten Unternehmen in Zukunft eher arbeiten.
Cawa, vielen Dank für das Gespräch.
Cawa Younosi, Jurist mit Schwerpunkt Arbeitsrecht, war bis Oktober 2023 Personalchef und Mitglied der Geschäftsführung von SAP Deutschland und verantwortete als Global Head of People Experience die globale SAP-Dachorganisation, die unternehmensweit die HR-Arbeit bündelte. Younosi gilt als eine der innovativsten Führungspersönlichkeiten im HR-Sektor, der mit mutigen Ideen die Arbeitswelt revolutioniert. 2020 kürte ihn LinkedIn zur „Top Voice“ und das Personalmagazin zu „Germanys HR Influencer No. 1“. Im Sommer erscheint sein neues Sachbuch zum Thema Arbeitswelten und People Experience. Mehr Informationen unter: https://www.linkedin.com/in/cawa-younosi/
Titelbild: Cawa Younosi