Die Kolumne für das IBA Forum von Dr. Daniel Dettling, einem der profiliertesten Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum, beschäftigt sich im August 2024 mit dem Thema Führung in Zeiten der zweiten digitalen Revolution:
Der Affe auf dem Schreibtisch oder: Führung in Zeiten der zweiten digitalen Revolution
Erinnern Sie sich noch an die Zeit der New Economy am Ende des letzten und zu Beginn des neuen Jahrhunderts? Informationen, Kreativität und Wissen treten, so die Grundannahme, an die Stelle von Gütern, Industrie und Kapital. In der kreativen Ökonomie gehe es um den Wettbewerb der Ideen und Inhalte, um immaterielle Werte; physische Arbeitsprozesse und Absatzkanäle würden durch digitale Prozesse überlagert bzw. ersetzt. Wo die Güter der alten Ökonomie wie Rohstoffe ihren Wert durch ihre Knappheit bestimmten, bestimmen die Güter der neuen Ökonomie ihren Wert durch Zugänge und Netzwerke. Bedingung der neuen Wirtschaft war der rasche Zugriff auf Ideen, Güter und Dienstleistungen. Die Blase der New Economy platzte bereits nach wenigen Jahren.
Die neue Ökonomie ist längst Alltag
Auch weil ihr vor 25 Jahren das Wichtigste fehlte: überall gleichzeitig verfügbare Kommunikationsmittel. Heute hat nahezu jeder Mensch auf der Welt Zugang zu Internet, Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz. Es gibt weltweit mehr Zugang zu Smartphones als zu Wasser und Strom. Heute spricht kaum noch jemand von der „neuen“ Ökonomie; sie ist längst Alltag. Die digitale Revolution ist eine Stufe weiter. Und damit auch der kulturelle Wandel. Die allermeisten Führungskräfte glauben, dass Künstliche Intelligenz und Daten ihr Unternehmen verändern werden; die wenigsten aber wissen, wie das geschehen wird. Maschinelles Lernen, ChatGPT und Cloud sind zunehmend im Einsatz, ihr Sinn und Ziel erschließt sich den meisten Unternehmen bislang nicht. Wenn Routineaufgaben an die KI ausgelagert werden, haben wir alle mehr Zeit für komplexe und kreative Arbeit. Arbeit, so die Hoffnung, wird sinnvoller.
Kultur von Trial and Error
Unternehmen, die mit ihren Mitarbeitenden viel testen und lernen, werden schneller wachsen. Sie entwickeln und praktizieren eine „Kultur von Trial and Error“ und wissen, dass Irrtümer oft die besten Investitionen sind. Es geht darum, eine Kultur zu schaffen, in der Menschen offen zugeben können, welche Fehler sie gemacht haben. Aus Chefs werden fehlerfreundliche Meistermacher. Wie wäre es mit: „Wer den kreativsten Fehler macht, gewinnt das Spiel der Woche und darf sich einen Affen für die nächste Woche auf den Schreibtisch legen“? Jeder Mensch und Mitarbeiter hat (mindestens) ein verborgenes Talent und Potenzial. Benjamin Bloom, US-amerikanischer Psychologe und Erziehungswissenschaftler, untersuchte in einer Studie Menschen, die es später zu Weltklassesportlern, ‑musikern und ‑künstlern brachten. Das Ergebnis: Begabung (Talent) allein macht keinen Meister oder Experten. Nur wer über Jahre bereit ist, an sich und seinen Fähigkeiten zu arbeiten, hat die Chance weit zu kommen. Das Entwickeln von Expertise erfordert Lehrer und Coachs, die konstruktives, aber auch schmerzvolles Feedback geben. Niemand wird als Genie oder Meister geboren. Wir haben es aber in der Hand zu Experten und Meistern auf unserem Gebiet zu werden.
Meister werden nicht geboren, sie werden gemacht
25 Jahre nach dem Platzen der New-Economy-Blase haben wir mehr Instrumente und mehr Wissen darüber, wie wir in einer dezentralen Welt zurechtkommen und vorankommen können. Was wir in Zukunft brauchen, sind Führungskräfte, die ein konstruktives Verhältnis zu Fehlern haben und mehr Zeit. Die besten Sportler brauchen mindestens zehn Jahre oder 10.000 Stunden Training, bevor sie internationale Wettbewerbe gewinnen. Es geht um Übung, Gelegenheit und Glück. Und um Unternehmen, die dafür Zeit und Räume zur Verfügung stellen.
Dr. Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und Gründer des Instituts für Zukunftspolitik (www.institut-zukunftspolitik.de). Dort erschien vor Kurzem das Buch „Eine bessere Zukunft ist möglich – Ideen für eine Welt von morgen“.
Lesen Sie auch
Titelbild: Dr. Daniel Dettling (Foto: Laurence Chaperon)