Christiane Scharpf Ob die Hersteller von Küchen, Schlafräumen, die Büromöbelindustrie sowie die Macher der großen Einrichtungsmessen imm und Orgatec – alle schauten in diesem Mai zur Interzum nach Köln, wo sie Trends und Themen für ihre Produkte in Hülle und Fülle geboten bekamen.
Neben den rund 1.600 Ausstellern der Interzum 2023 informierten täglich kompetente Referenten zu wichtigen Entwicklungen und Zukunftsthemen rund um Möbel, Materialien und Farben in zukünftigen Einrichtungen: „Die Trend Stage hat einen hohen Anspruch hinsichtlich ihrer Themen und Inhalte. Wir wollen ein umfassendes und zukunftsweisendes Branchenbild zeichnen“, sagt Katrin de Louw vom Unternehmen TRENDFILTER®, Kuratorin der Interzum 2023 Trend Stage.
„Beitrag zu einer Welt in Frieden“
Stellvertretend für die Branche präsentierte Renolit, ein Hersteller hochwertiger Kunststoff-Folien, eigens „inhouse“ erdachte Farbtrends. Drei Farbcollagen, die man als Essenz aus der Zusammenarbeit mit verschiedenen internationalen Farbinstituten ermittelt hat, stellt Renolit unter den Titel „Contribute to a World in Peace“.
Der formulierte Wunsch nach einer Welt in Frieden mittels Farbkompositionen mutet zunächst etwas ungewöhnlich an, konnte aber auch schon bei der Trendaussage des Farbinstituts NCS für 2024+ als Thema beobachtet werden.
Renolit zeigt mit ihrem ersten Trend („Contribute to your own awareness“) einen zarten, warmen Farbvierklang zur Konzentration auf das innere Bewusstsein. Vier eher bunte, laute Farbtöne zielen auf ein kollektives Miteinander („Contribute to collective care“) und der aus natürlichen Tönen bestehende dritte Trend („Contribute to healthy environment“) benennt eine gesunde Raumwirkung als Ziel der Betrachtung.
Die Farben der digitalen Welt
Beim Messerundgang fällt auf, dass auch bei den Zulieferern von Möbelfertigung und Innenausbau die Zeit der „bunten“ chromatischen Farben angebrochen ist. Leuchtende, meist monochrome Farben entwickeln sich aus der digitalen Welt heraus und manifestieren sich zunehmend in Mode, Makeup oder Produktdesign. Flankiert werden diese von neuen „unbunten“ achromatischen Kompositionen, die jedoch weniger den Schwarz-Weiß-Tönen entspringen, sondern sich eher von braun-beigen Naturfarben ableiten und als Material unbehandelt und roh wirken dürfen.
NCS beschreibt genau diese Zweiteilung als eine Art gespaltene Wahrnehmung unserer Bedürfnisse: Es ist die Zeit der Zerrissenheit zwischen Agieren und Entkommen.
Genau diese entgegengesetzten Farbwelten präsentieren sich auf der Interzum: Einerseits sanfte, warme Rosé- und Erdtöne, die Energie und Dynamik in Räume zaubern können. Dem gegenüber stehen intensive, kühle Blautöne für eine eindringliche und zugleich entspannte Atmosphäre.
Ergänzt werden die beiden Rot-Blau-Welten von hellem bis mittelbraunem Holz. Mit seiner natürlichen Anmutung ist es besonders attraktiv für authentische Wohn- und Arbeitsumgebungen und prägt viele neue Dekore und Oberflächen.
Farbe als Strukturierungselement
Arbeits- und Wohnwelten werden zukünftig gestalterisch weiter verschmelzen – heißt: das Homeoffice muss sich in den Wohnbereich einfügen und im Bürogebäude erwartet nicht nur die „Gen Z“ ein deutlich emotionaleres Design. Die Farbauswahl kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Durchdachte und vor allem sorgsam komponierte Farbumgebungen können Menschen bei Konzentration und Entspannung gleichermaßen helfen. Besonders die collagierte Farbgestaltung innerhalb einer Farbwelt mit differenzierter Nuancierung hat sich in der Inneneinrichtung als extravagantes und gleichsam harmonisches Stilelement entwickelt.
So gesehen auch im Frühjahr 2023 anlässlich einer Kooperation der schwedischen Modekette H&M (Home) und den amerikanischen Farbprofis von Pantone (H&M loves Pantone). Zwei Farbkollektionen in ähnlich kontrastierenden Warm-Kalt-Tönen wie sie nun auch in Köln zu sehen waren. Produkte in Rot-Orange-Apricot sowie in Grün-Petrol-Mittelblau sind hier die Basis für eine chromatische und gleichzeitig elegant-ruhige Raumgestaltung.
Nachhaltigkeit: neue Materialien in Trendfarben
Die drei Trendforen der Interzum, allen voran „Materials & Nature“, zeigten Technologien und Produkte mit hoher Ressourceneffizienz, Rückführbarkeit der eingesetzten Materialien in die Kreisläufe sowie die Reduktion der CO2-Emissionen in der Fertigung. Stoffe aus Garnen, die aus recyceltem Meeres-Abfall oder aus Bastfasern gewoben werden oder eine Bio-Spachtelmasse aus Abfällen der Nahrungsmittelindustrie – auch diese Beispiele für alternative Basisprodukte präsentieren sich in der Trendfarbe Himmelblau.
Und natürlich setzen auch die Hersteller auf Nachhaltigkeit: Mit dem Trendkonzept „Freiraum“ bietet der Oberflächenspezialist Schattdecor neue umweltfreundliche Dekore wie die Recycling-Folie Fineflex, die dank einer optimalen Feuchtigkeitsbeständigkeit für den Einsatz in Küche und Bad geeignet ist.
Viel Neues gibt es in der Oberflächengestaltung von vor allem hellen Hölzern zu bewundern und zu berühren: geschlitzte, lamellenartige, geriffelte oder mit Filz kombinierte Platten für Möbel, Wände oder Böden.
Manch bewährte wie zeitlose Marmordesigns in Weiß, Beige und Anthrazit ergänzen die neuen Farben ebenso perfekt wie neue, mutige Dekore mit überbordenden floralen Dessins.
Die Interzum 2023 hatte viel Neues zu bieten und konnte gleichzeitig bereits erkennbare Trends bündeln. Die Möbelindustrie hat frische Ideen, Farben und Materialien an die Hand bekommen, die in den nächsten Jahren Produkte zieren und Räumen neue Perspektiven verleihen werden.
Christiane Scharpf gründete CS Designberatung 2006. Nach dem Studium der Innenarchitektur waren Jobs in Planung und Vertrieb sowie in der Markenberatung Stationen der beruflichen Entwicklung. Sie ist Partnerin für Gestaltung in 2D und 3D sowie Beraterin in der strategischen Planung von Designprojekten in Unternehmen und arbeitet als freie Fachjournalistin. Das Thema Farbe ist ein Themenschwerpunkt ihrer Tätigkeit.
Sämtliche Collagen in diesem Beitrag wurden von der Autorin erstellt. Dafür wurden Aufnahmen von Christiane Scharpf, Bilder der Unternehmen Pulpo Möbel, Ballerina Küchen und Arpa (Farbtrends Interzum) sowie H&M (Kooperation mit Pantone) bzw. Europlac und Schattendecor (Materialtrends Interzum) verwendet.
